EUR 30 Mio Vertragsstrafe vollstreckbar, Markenrecht, Vertragsstrafe, Kartellrecht, Rechtsanwalt, Urteil

Vertragsstrafe

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Ausländische Urteile im Markenrecht können teuer werden. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht bestätigt Vollstreckung von EUR 30 Mio. Vertragsstrafe in einem markenrechtlichen Streit.

Hintergrund des Falles

Im Kern des Verfahrens standen langjährige Markenrechtsstreitigkeiten zwischen zwei Unternehmen, die sich um die Gestaltung von Jeanshosen drehten. Bereits seit 2006 führte die Markeninhaberin mehrere Auseinandersetzungen gegen eine Jeansherstellerin vor verschiedenen Gerichten. Im Jahr 2006 schlossen die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich die Jeansherstellerin unter anderem zur Zahlung einer Vertragsstrafe von EUR 50,- pro Jeanshose, sollte sie weiterhin Jeans mit der geschützten Marke der Markeninhaberin vertreiben.

Als die Markeninhaberin im Jahr 2014 behauptete, die Jeansherstellerin habe gegen diesen Vergleich verstoßen, erhob sie Klage in Belgien. Vor dem dortigen Appelationshof in Brüssel, wurde in zweiter Instanz in einem rechtskräftigen Zwischenurteil im September 2016 festgestellt, dass die Jeansherstellerin tatsächlich gegen die Vereinbarung verstoßen hatte. Der Brüsseler Appelationshof verpflichtete sie zur Zahlung einer vorläufigen Entschädigung auf Grundlage der Vertragsstrafenregelung. Die spätere Revision der Jeansherstellerin gegen dieses Zwischenurteil blieb erfolglos. Ein Sachverständiger stellte fest, dass die Jeansherstellerin schätzungsweise 600.000 Hosen entgegen der Vereinbarung vertrieben hatte.

Im weiteren Verlauf des belgischen Verfahrens rügte die Jeansherstellerin erstmals die Kartellrechtswidrigkeit des Vergleichs und der darin enthaltenen Vertragsstrafenregelung und beantragte eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Der belgische Appellationshof in Brüssel wies diese Argumente zurück, da die Gültigkeit des Vergleichs bereits im ersten Zwischenurteil anerkannt worden sei. Gegen das Endurteil des belgischen Appellationshofs vom Februar 2023, das die Jeansherstellerin zur Zahlung von 30 Millionen Euro verurteilte, legte die Jeansherstellerin ebenfalls Revision ein.

Die Markeninhaberin beantragte schließlich beim Landgericht Kiel, dieses belgische Urteil in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Das Landgericht Kiel gab diesem Antrag statt. Dagegen legte die Jeansherstellerin Beschwerde ein, unter anderem mit der Begründung, die inländische Vollstreckung sei nicht zuzulassen, weil das Urteil offensichtlich kartellrechtswidrig sei und gegen deutsche verfahrensrechtliche Grundsätze verstoße.

Beurteilung des Gerichts und Entscheidungsgründe

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht wies die Beschwerde der Jeansherstellerin mit Beschluss vom 30.06.2025 – Az. 16 W 68/24 zurück. Das Gericht stellte fest, dass die formalen Anforderungen für die Anerkennung erfüllt waren. Ein Anerkennungshindernis aufgrund eines Verstoßes gegen den sogenannten „ordre public“ (öffentliche Ordnung) sah das Gericht nicht.

Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, etwa eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör, wurde verneint. Die Jeansherstellerin hatte die Möglichkeit, ihre Einwände gegen den Vergleich vor den belgischen Gerichten vorzubringen. Das Gericht betonte, dass der belgische Appellationshof die Wirksamkeit des Vergleichs bereits in einem rechtskräftigen Zwischenurteil festgestellt hatte und an diese Entscheidung gebunden war. Die Jeansherstellerin hat im späteren Verlauf des Verfahrens kartellrechtliche Argumente vorgebracht. Nach deutschem Prozessrecht kann dies zu einer Präklusion führen.

Die Richter haben außerdem festgestellt, dass die Vereinbarung nicht kartellrechtswidrig ist. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass eine umfassende Überprüfung des Urteils auf Kartellrechtsverstöße im Rahmen eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens staatlicher Urteile nicht angezeigt sei, insbesondere wenn das Ursprungsgericht den gleichen rechtlichen Maßstab anzulegen hatte. Eine markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung stellt in diesem Fall keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dar, da die Parteien ihr Verhalten nicht zum Zwecke des Eingriffs in den Markt koordiniert hätten. Zudem sei die bewirkte Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar. Die Jeansherstellerin wird nicht in nennenswertem Maße beeinträchtigt, wenn sie andere, nicht der geschützten Marke ähnelnde Stickereien verwendet.

Die Argumentation der Jeansherstellerin, die vereinbarte Vertragsstrafe sei überhöht, wurde ebenfalls vom Gericht zurückgewiesen. Die Vertragsstrafe in Höhe von 30 Millionen Euro steht in keinem Missverhältnis zur Bedeutung des Verstoßes, sodass keine Verletzung von Treu und Glauben oder des ordre public vorliegt. Das Gericht berücksichtigte bei seiner Entscheidung den europaweiten Geltungsbereich der Vereinbarung sowie die Größe der Jeansherstellerin mit 1.200 Filialen in 47 Ländern und einem Umsatz von mehreren Milliarden Euro.

Auch eine Aussetzung des Verfahrens oder die Abhängigmachung der Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung wurde abgelehnt, da die Erfolgsaussichten der Rechtsmittel der Jeansherstellerin als gering eingestuft wurden und die geltend gemachten Nachteile nicht als irreparabel angesehen wurden.

Allgemeine Auswirkungen des Urteils

Das Urteil stärkt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union, das auf dem Gedanken des gegenseitigen Vertrauens basiert. Es macht deutlich, dass kartellrechtliche Einwände gegen die Wirksamkeit eines Vergleichs, der einem ausländischen Urteil zugrunde liegt, nicht ohne Weiteres im Vollstreckungsstaat erneut geprüft werden, wenn diese bereits im Ursprungsstaat vorgebracht werden konnten und dort rechtskräftig beschieden wurden.

Für Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, bedeutet dies eine erhöhte Rechtssicherheit bei der Durchsetzung von Ansprüchen aus Vergleichen oder Urteilen. Es ist von entscheidender Bedeutung, kartellrechtliche oder wettbewerbsrechtliche Aspekte frühzeitig und umfassend in gerichtlichen Verfahren im Ursprungsstaat vorzubringen. Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass rechtskräftige Entscheidungen, auch wenn sie eine hohe Vertragsstrafe betreffen, in anderen EU-Staaten ohne erneute inhaltliche Prüfung vollstreckt werden. Dies ist insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts und bei Vorwürfen der Irreführung von großer Bedeutung, wie sie beispielsweise im Kontext von Rabatten oder Streichpreisen bei Online-Händlern wie Amazon auftreten können. In solchen Fällen ist die schnelle und durchsetzbare Umsetzung von Entscheidungen von entscheidender Bedeutung.

Fazit

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts unterstreicht die Bedeutung der Effizienz und Kohärenz der gerichtlichen Zusammenarbeit in der EU.

Es sendet ein klares Signal: Einmal in einem Mitgliedstaat rechtskräftig entschiedene Fragen, selbst wenn sie komplexe kartellrechtliche Aspekte und hohe Vertragsstrafen umfassen, werden im Vollstreckungsstaat grundsätzlich nicht erneut aufgerollt.

Für Unternehmen bedeutet dies eine Stärkung der Rechtssicherheit und die Notwendigkeit, alle relevanten Argumente – insbesondere im Bereich Markenrecht und Wettbewerbsrecht – im ursprünglichen Gerichtsverfahren umfassend geltend zu machen.

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