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Wie groß ist „zu groß“ im digitalen Binnenmarkt? Und warum entscheidet ein Gericht, dass Amazon mehr Verantwortung tragen muss als andere Plattformen?

Amazon als VLOP

Am 19.11.2025 (Az. T-367/23) bestätigte das Gericht der Europäischen Union: Der Amazon Store ist eine „sehr große Online-Plattform“ oder kurz VLOP (für Very Large Online Platform) im Sinne des Digital Services Act. Damit unterliegt Amazon einem besonderen Pflichtenregime, das nur wenige digitale Akteure in Europa trifft. Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt – nicht nur für Amazon selbst, sondern auch für die Millionen Unternehmen, die die Plattform nutzen, um Produkte im Binnenmarkt zu vertreiben.

Auslöser war eine Zahl, die Amazon am 17.02.2023 selbst veröffentlichte: Mehr als 45 Millionen Menschen nutzen den Amazon Store im Monat. Dieser Wert – der sogenannte AMAR (Average Monthly Active Recipients) – ist im DSA kein bloßer statistischer Marker, sondern das entscheidende Kriterium für die Einstufung als VLOP. Amazon überschritt ihn deutlich, und die Kommission leitete das Designationsverfahren ein. Das Unternehmen versuchte, diese Einstufung rechtlich anzufechten. Das Gericht wies die Klage jedoch in allen Punkten zurück.

Warum der DSA große Plattformen anders behandelt

Der Digital Services Act setzt bewusst auf eine abgestufte Regulierung. Während kleinere Online-Angebote vor allem Grundpflichten erfüllen müssen, unterscheidet der DSA deutlich zwischen allgemeinen Plattformen und sehr großen Plattformen. Der Gedanke dahinter ist einfach: Je größer eine Plattform, desto größer ihr Einfluss – und desto gravierender die gesellschaftlichen Risiken.

Das Gericht arbeitet diese Logik klar heraus. Große Marktplätze seien zu digitalen Infrastrukturen geworden, auf denen nicht nur Produkte, sondern auch Meinungen, Bewertungen und medienähnliche Inhalte auftreten. Sie seien „de facto öffentliche Räume“, wie die Kommission es formulierte, und damit potenziell Orte, an denen sich Gefahren in einer Geschwindigkeit und Dimension verbreiten können, die ein einzelner Webshop niemals erreichen würde. Diese Unterschiede rechtfertigen höhere Sorgfaltspflichten.

Amazon erfüllt die Kriterien eines VLOP

Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob Amazon – als Plattform, nicht als Händler – in der Lage ist, systemische Risiken zu verursachen. Und die Antwort fällt eindeutig aus.

Das Gericht betont, dass Amazon nicht nur eigene Produkte verkauft, sondern auch die Angebote von Millionen Dritten verbreitet. Diese Struktur führt zu einem Informationsfluss, den Amazon weder vollständig kennt noch kontrolliert. Genau deshalb genießt die Plattform Haftungsprivilegien, ist aber auch besonderen Risiken ausgesetzt.

Zudem betrachtet das Gericht Amazon als Plattform mit enormer Hebelwirkung: Inhalte, die hier als illegal, irreführend oder gefährlich eingestuft werden, erreichen potenziell einen Großteil der europäischen Bevölkerung und werden nicht im kleinen Kreis wahrgenommen. Der Verkauf eines nicht konformen Produkts, manipulative Werbung oder ein fehlerhaftes Ranking können Millionen Menschen betreffen.

Eine Plattform mit einem AMAR von 45 Millionen könne einen erheblichen Teil der EU-Bevölkerung illegalen Inhalten aussetzen.

Diese Reichweite allein begründet für das Gericht die Einstufung als VLOP – unabhängig davon, wie sorgfältig Amazon aktuell kontrolliert. Entscheidend ist das potenzielle Risiko.

Amazon argumentierte, kleinere Plattformen seien gefährlicher. Das Gericht widerspricht. Bei großen Marktplätzen stehe nicht die Wahrscheinlichkeit, sondern der Schaden im Vordergrund, der aus einem einzelnen Vorfall entstehen könne – und dieser sei bei 45 Millionen oder mehr potenziell Betroffenen systemisch.

Was bedeutet die Einstufung als VLOP?

Risikomanagement als Daueraufgabe

Als VLOP muss Amazon regelmäßig umfassende Bewertungen systemischer Risiken durchführen. Diese reichen von illegalen Produkten über algorithmische Verzerrungen bis zu Gefahren für Minderjährige. Diese Analysen müssen dokumentiert, minimiert und mit der Kommission geteilt werden. Für Händler bedeutet das, dass Amazon verstärkt Kontrollen durchführen und Prozesse anpassen wird – manchmal sichtbar, manchmal im Hintergrund.

Transparenzpflichten für Empfehlungssysteme

Die Regulierung wird besonders bei Empfehlungen sichtbar: Amazon muss für jedes Empfehlungssystem mindestens eine Option anbieten, die nicht auf Profiling beruht. Nutzer sollen Produkte finden können, ohne dass ihre persönlichen Daten einfließen. Das klingt zwar technisch, hat aber konkrete Folgen für die Sortierung, Wahrnehmung und Auffindbarkeit von Produkten.

Öffentliches Anzeigenarchiv

Wer auf Amazon Werbung schaltet, muss künftig mit deutlich mehr Transparenz rechnen. Inhalt, Auftraggeber, Zeitraum und Zielgruppen jeder Anzeige werden in einem öffentlich zugänglichen Archiv gespeichert. Dies soll nicht nur Verbraucher schützen, sondern auch die politische und wirtschaftliche Integrität der Plattform gewährleisten.

Datentransparenz für Forschung

Als VLOP muss Amazon bestimmten Forschenden Zugang zu internen Daten gewähren, wenn dies zur Untersuchung gesellschaftlicher Risiken erforderlich ist. Dies stellt zwar einen Eingriff in die Geschäftsgeheimnisse dar, der jedoch laut Gericht aufgrund der systemischen Rolle Amazons im digitalen Ökosystem gerechtfertigt ist.

Fazit

Amazon prägt und dominiert den europäischen Online-Handel in einem Ausmaß, das unvermeidlich gesellschaftliche Bedeutung hat. Mit der Einstufung als „Very Large Online Platform“ (VLOP) macht das Gericht deutlich, dass Amazon die damit einhergehenden strengeren Regeln des digitalen Binnenmarkts anwenden muss.

Ob sich daraus tatsächlich mehr Transparenz, Verbraucherschutz und Fairness im Wettbewerb ergeben, bleibt abzuwarten. Bislang haben große Tech-Konzerne entsprechende Pflichten stets so umgangen, dass sie im Ergebnis weitgehend leerliefen.

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